Die Frage nach der politischen Bedeutung

Edition Psychotherapie und Zeitgeschichte

Moderne Erziehung zur Hörigkeit?

Die Tradierung strukturell-faschistischer Phänomene in der evolutionären Psychologieentwicklung und auf dem spirituellen Psychomarkt.
Ein Beitrag zur zeitgeschichtlichen Introjektforschung in drei Bänden.


2.3 Die Frage nach der politischen Bedeutung

Die Tradierungsfrage erschließt somit nicht nur strukturell-phänomenologische Analogien in den Verwebungen von evolutionär-programmatischer Psychologie- und Ideologieentwicklung, sondern fragt auch nach zeitgeistgebundenen Interessenausrichtungen in der programmatischen Bewusstseinsausrichtung und nach deren Funktionalität für wirtschaftspolitische Entwicklungen. Diese auf typologische Operationalismusphänomene zielende Untersuchungsperspektive stellt die Wirkung der evolutionär-programmatischen Psychologie und Psychagogik mit ihren Pilot- und Expansionsprojekten in die zeitfensterspezifische politische, wirtschaftliche und soziale Veränderungs- und Problemsituation in der Gesellschaft.

Sie untersucht hierzu deren Bewusstseinsbildungsarbeit hinsichtlich der in den modernen Psychomarktangeboten angelegten Anpassungs- und Kompensationswirkungen. Sie fragt z. B., ob diese den politischen Widerstand schwächen und die von den gesellschaftlichen Strukturbrüchen erzeugten Ängste und Sehnsüchte bei den Menschen auffangen, um sie dann mit ihren Konzepten und Praxeologien evolutionär-ideologisch zu formen.

Diese Perspektive zielt ebenfalls auf die potenzielle Bahnung und Tradierung strukturell-faschistischer Bewusstseins- und Identitätsbildungsangebote im Untersuchungsspektrum. Sie untersucht, inwieweit dieses Phänomen als aktives und politisch virulentes Geschehen in der gegenwärtigen Gesellschaftssituation bewertet werden muss.

Diese Untersuchungsperspektive ist nicht nur für eine zeitgeschichtliche Introjektforschung in Psychoanalyse, Gestalttherapie und Integrativer Therapie interessant, sie verbindet auch die Untersuchungsfrage mit der Frage nach der Verantwortung für dieses Geschehen, wobei die Zuständigkeit für diese Verantwortung zuletzt bei allen liegt, die daran aktiv beteiligt sind.

Um diese Verantwortung auch im Studienbezug ernst zu nehmen, muss der untersuchungsrelevante Tradierungsfundus für die Untersuchung der Tradierungsthesen konkret historisch und gesellschaftsbezogen strukturbruchorientiert ausgeleuchtet werden. Dies verweist auf die Bedeutung von Entwicklungsstrukturbrüchen, wie sie in der thematisch untersuchungsrelevanten Zeit ab den zwanziger Jahren in den USA und über die Massenbewegungen mit irrationalistischem Evolutionsparadigma in Europa deutlich wurden (Mussolinis Faschismus (1922), Hitlers Nationalsozialismus (1933) etc.). Denn diese Strukturbrüche lieferten den Boden, auf dem die hier wie dort beobachtbare, evolutionär-narzisstische "Psychologie der Verführung" und die damit verbundene Ideologiebildung erst landen konnte, wobei auch die Entwicklung der Massenmedien zur Lenkung von Interessen, Bedürfnissen und Lebenskonzepten erstmals eine wichtige politische Rolle spielten.
Und während in Europa eine rassistisch nationalistische Höherentwicklungshybris diese Entwicklungsdynamik steuerte, verweisen die massenpsychologischen Einflussphänomene in den USA auf eine wirtschafts- bzw. gewinnorientierte Höherentwicklungshybris, die im Börsencrash 1929 erstmals ihre strukturbrüchige bzw. abgründige Seite zeigte. Denn die Überschätzung von technologischer Fortschrittsentwicklung, Massenkonsum, Expansionspolitik und Wirtschaftswachstum vermittelte auch hier einen Glauben an unbegrenzte Höherentwicklungsdynamiken und hierzu geeignete Forcierungsmöglichkeiten.
Dieser Glaube vermittelte in den USA, dass jedermann an Erfolg und Reichtum partizipieren könne, sich vom industriell fortschrittlichen Schaffensrad mit seiner unaufhaltsamen Höherentwicklungs- und Steigerungsdynamk mit hochtragen lassen könne und dass dies ein Zeichen evolutionär-zivilisatorischer Weiter- bzw. Höherentwicklung sei. Dem Weg hierzu haftete ein Selfmademanglaube an, der eine Art Selbsterlösungs- und Selbstentwicklungsweg im "neobehavioristischen Positiv-Denken-Bezug" darstellte. Er sollte mittels Leistungswille und -einsatz zu Existenzsicherung, Wohlstand und Glück führen. Dieser Entwicklungsglaube floss auch in die deutsche Nachkriegsentwicklung ein. Seinem fortschrittsgläubigen Kern entsprang schließlich der Glaube, Geld sei "spirituelle Energie" und Glück ein "anzuhäufender Zustand" bzw. das zweckoptimierte Ergebnis eines nach Plan durchgeführten, geistesmagischen Ressourcen- und Selbstmanagements.


Diese gesellschaftssystemische Perspektive lässt die spirituell-magischen und esoterischen Ausgestaltungsweisen der im Untersuchungsspektrum wahrnehmbar werdenden Machbarkeits- und Höherentwicklungshybris differenzierter betrachten. Denn während die in den USA entwickelte Theosophie von Alice Bailey und ihre "Lucis Trust-" bzw. "Weltdiener-Mission", die ab 1920 weltweit expandierte, den Spiritualitätsbezug in den untersuchten modernen Evolutionsmissionen und angloamerikanischen Psychomarktprojekten, -einflüssen dominierte, müssen für die deutschen Psychomarktprojekte Einflüsse aus dem Glaubensfundus der Blavatsky-Theosophie (theosophische Wurzelrasselehre etc.), der ariosophischen, neogermanischen und deutschgläubigen Orden und aus der NS-Ideologie beachtet werden.

Die Studie lotet aus, ob diese Glaubensbezugnahmen für die hier untersuchten Neue-Zeitalter-Missionen und die damit verbundenen, evolutionär-programmatischen Psychologieprojekte bis heute konzeptionell, praxeologisch und organisatorisch strukturbildend geblieben sind, - und zwar auch wenn sich diese mit neuen Elementen aus dem ideologisch spirituellen Grundbestandsfundus vermengten. Dies ist relevant, denn die spirituelle Programmatik der evolutionären Psychologiebewegung bezieht sich stark auf die Theosophie, welche der modernen evolutionären Psychologie ab den achtziger Jahren eine zentrale Funktion für die "Erziehung zum Neuen Menschen" zuwies.
Dieser Psychologieentwicklung wurde sogar die Aufgabe zugedacht, die Expansion des theosophischen Evolutionsparadigmas mit seinem globalen Missionsanspruch in Europa voranzutreiben (Ferguson 1980).


Die ab den zwanziger Jahren einsetzende Zeitperspektive erschließt damit eine Untersuchungsperspektive auf den Einfluss gesellschaftlicher Umbrüche und damit verbundener "Irrationalismuseinflüsse" auf die Psychologieentwicklung und deren Glaubensbezugnahmen. Sie berücksichtigt, wie sehr wirtschaftliche und wissenschaftlich-technologische Umbrüche bzw. auch neue Energiequellen (Öl, Atomkraft) und Kommunikationsmedien (Radio, Fernseher, Computer etc.) das Leben der Menschen, ihre Gesellschaftsutopien und ihre Spiritualitätsbezugnahmen beeinflussten und wie dies immer wieder esoterische Bezugnahmen auf diese Neuerungen hervorbrachte.

Hierbei wird mit gesehen, wie die Beeinflussbarkeit von Einstellung und Kaufverhalten durch den gezielten Einsatz von Massenmedien und die Wahrnehmung erster, massenpsychologischer Dynamiken zu einer Überschätzung von Suggestionsmethoden, Hypno- und Psychotechnologien führte, die sich auch in evolutionär-spirituellen Ausgestaltungen des Manipulations- und Machbarkeitswahns niederschlug. Die Perspektive auf diese Tendenz lässt untersuchen, wie dieser grandiose Manipulations-, Entwicklungsglaube und Machbarkeitswahn auch im Spektrum der Projekte der modernen evolutionären Psychologieentwicklung zum Ausdruck kommt. Dieses Entwicklungsspektrum wird im ethischen Bewertungsansatz der Studie betrachtet.

Dies verankert die Betrachtung der Expansion von evolutionär-programmatischer Psychologie und Psychagogik mit ihrer spirituellen Bezugnahme auf die theosophische Weltmission bewusst in ihrer konkret historischen Situation und deren spezifischer Gesellschaftsveränderung.
Hierbei fließt die Grundannahme ein, dass die realen gesellschaftlichen Verhältnisse für den evolutionär-ideologischen Entstehungszusammenhang mitgesehen werden müssen, damit dieser wirklich erkannt und verstanden werden kann.